Wer viel in der Stadt auf Erkundungstour ist, der muss des öfteren auch ein öffentliches WC aufsuchen oder eine kleine Kreativpause in einer Bar der Umgebung einlegen. Was könnte also pragmatischer sein als ein Stadtspaziergang dorthin, wo auch der Kaiser zu Fuß hingeht. Eine Tour von der denkmalgeschützten Toilettenanlage bis hin zum Designer-WC – mit viel Zeit zum Sinnieren über die Geschichte des „Klo-Gehens“ im öffentlichen Raum.
Und eben genau das, kann der oder die unternehmungslustige Stadterkunderin in Wien auf rund 320 unterschiedlichen öffentliche WC-Anlagen – bei manchen sogar im denkmalgeschützten Ambiente. Das war jedoch nicht immer so.
Fakt ist, dass der Mensch des Mittelalters in einem größeren Ausmaß von seinen Exkrementen umgeben war, als unsereins heute. So wurde die Notdurft damals nicht selten auf offener Straße verrichtet und Nachttöpfe einfach in die Gosse gekippt und darauf gewartet, dass der nächste Regen das Problem des Abtransports lösen würde. Das Ergebnis waren nicht selten Seuchen. Ein Rückschritt, denn bereits die Römer verfügten im damaligen Vindobona über ein gut ausgebautes Kanalsystem, das mit dem Zusammenbruch des römischen Reiches leider wieder in Vergessenheit geriet. Mit einem dermaßen gut ausgebauten Kanalsystem konnte Wien erst wieder Anfang des 18. Jahrhunderts aufwarten. Dennoch blieben die rasch wachsenden Vorstädte oftmals vom Kanalsystem ausgespart, ein Umstand, den man erst mit den umfassenden Hygienemaßnahmen im auslaufenden 19. Jahrhundert beheben konnte. Noch zur Weltausstellung von 1873 mangelte es nachweislich an öffentlichen WC-Anlagen.
Ein Inovater der modernen Toilettentechnik war der aus Berlin stammende Wahlwiener Beetz. Ihm verdankt Wien nicht nur Wiens bekannteste Toilette, sondern zugleich die älteste unterirdische Toilettenanlage Europas.
Von Frauen und Männern und den guten alten Zeiten
Die erste Bedürfnisanstalt für Männer und Frauen wurde von Beetz 1883 in der Invalidenstraße aufgestellt. Dass auch Frauen die Möglichkeit hatten, unterwegs ihren dringlichen Bedürfnissen nachzugehen, war lange Zeit keine Selbstverständlichkeit. Zum Vergleich verfügte Wien im Jahr 1905 bereits über fast 70 Toiletten, die auch von Frauen benutzt werden konnten, so waren es in Berlin gerade einmal 26 und in Frankfurt keine. Doch auch die Wiener Frauen hatten teils für die Errichtung mehrerer Anlagen, die ihre Bedürfnisse befriedigen konnten, zu kämpfen, wie ein Artikel aus dem Floridsdorfer Volksboten“ aus dem Jahr 1905 beweist. Darin gefordert werden mehr Toiletten für Floridsdorf. Generell lässt sich anhand der von Beetz verkauften Eintrittskarten feststellen, dass weit mehr Frauen als Männer die Bedürfnisanstalt benutzen (den Männern standen mit den zusätzlichen so genannten Pissbuden ja noch weitere Möglichkeiten der diskreten Erleichterung zur Verfügung)
Die wohl bekannteste Toilettenanlage von Beetz ist jene unterirdische in der Fußgängerzone des Wiener Grabens, die auch heute noch an die 59.000 Besucher jährlich dazu einlädt, ihr Geschäft zu verrichten. Zum Vergleich suchten im Jahr 1911 noch 334.418 Leute diese Jugendstil-Anlage auf. Einen Grund im Rückgang der öffentlichen Toilettenbesucher sieht Peter Payer in seiner Doktorarbeit über „Unentbehrliche Requisiten der Großstadt“ darin, dass aufgrund des verbesserten Verkehrs der Weg nach Hause einfach ein schnellerer ist. Doch auch die Scham unserer Gesellschaft soll laut Payer mittlerweile größer geworden sein. Darüber kann freilich philosophiert werden.
Modernes WC-Design
Fest steht: heute sind beinahe alle Wiener Toiletten an das Kanalsystem angeschlossen. Und es herrscht geradezu ein Boom im Wettstreit um das interessanteste und innovativste Klo. Dass eine WC-Anlage sogar zur Visitenkarte eines Lokals werden kann, beweist beispielsweise das Liebhart im 16. Bezirk. Verziegeltes Kellergewölbe trifft hier auf schlichtes Betonplattendesign. Ebenfalls ein Hingucker ist die Toilette im Café Korb, wo künstlerische Eleganz mit Funktionalität gepaart ist. Weitaus bunter für das Auge gestaltet sich ein Klogang im Hundertwasserhaus oder im Hundertwasser-Village. Wer während seines Geschäfts musikalische Untermalung braucht, der sollte der Operntoilette am Karlsplatz einen Besuch abstatten. Einen Besuch wert sind auch die Toiletten in den Lokalen Donau, Freiraum, Shanghai Tan, Kulin und Café Diglas. Letztere verwirrt mit ihrer speziellen Technik, die Glasscheiben erst nach dem Zusperren in Milchglas verwandelt, regelmäßig Gäste. Bei so viel Mühe in punkto Gestaltung, sollte nun wirklich keinerlei Scham aufkommen.
Und doch, trotz allem erledigt der Bürger sein Geschäft am liebsten zu Hause. Und wer könnte ihm das verübeln? Home, sweet home gilt eben auch fürs Klo. Das war jedoch nicht immer so. Gerade in puncto Privatklo hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so einiges getan: Waren es in den 70er Jahren noch 42 Prozent der Wohnungen, die keine eigene Toilette eingebaut hatten, so ist die Zahl der Wohnungen mit WC am Gang heute dank umfassender Wohnungssanierungsprogramme von Seiten der Stadt auf drei Prozent gesunken.
Was bei soviel heimischen Komfort jedoch oft übersehen wird, ist, dass weltweit geschätzte 2,6 Milliarden Menschen noch immer keine Möglichkeit haben, ihr Geschäft in einem WC hygienisch zu verrichten. Sie müssen sich nach wie vor auf der Straße, hinter Hütten oder an offenen Kanälen entledigen. Ein Umstand, der mitverantwortlich ist, dass jährlich rund 15 Millionen Menschen an Seuchen wie Cholera oder Diarrhö sterben – nur die Spitze des Eisberges. Denn das Fehlen geeigneter Sanitäranlagen zieht einen ganzen Rattenschwanz an Folgen mit sich. So gehen Mädchen in Slumgebieten beispielsweise das Risiko einer Vergewaltigung ein, wenn sie nachts nach draußen gehen, um ihr Geschäft zu verrichten. Ganz zu Schweigen von den Schwierigkeiten (bis zum Fernbleiben der Schule), die die Menstruation mit sich bringt. Doch das Geld für die Errichtung angemessener Toilettenanlagen fehlt leider allzu oft. Ein Umstand, gegen den die Welttoilettenorganisation vorzugehen sucht. Diese setzt sich u. a. dafür ein, Tabus aufzubrechen, Wasserkorruption zu bekämpfen und vermehrt Gelder für die Errichtung von Sanitärmaßnahmen zu fordern. Seit 2001 geschieht das breitenwirksam am 19. November im Rahmen des „World Toilet Day“.
Und auch wenn die Wiener Toiletten-Landschaft heute vergleichsweise von hoher Qualität ist, als Ort der Kontroversen hat das Häusl – wie es von den WienerInnen charmant genannt wird – auch hierzulande noch lange nicht ausgedient. Als Rückzugsort für Junkies, Schlafstätten für Obdachlose, Treffpunkt für unverbindlichen Sex sowie Arbeitsstätte verstehen es die Toilette und ihr verlängerter Arm, der Kanal, auch heute noch, ihren Weg in die öffentliche Diskussion zu bahnen. Aber auch als Ort der Inspiration taucht das stille Örtchen immer wieder im Diskurs auf. Sei es in Form eines Gedankenblitzes, der einen plötzlich ereilt, oder auch als Gegenstand eines Romans – wie es beispielsweise bei Peter Handke 2012 der Fall war. Doch selbst wenn bei dem Großteil von uns nach diversen Toilettengängen nicht gleich ein Roman rausspringt, auf die richtige Klolektüre zu achten, kann kein Fehler sein. Denn Tatsache ist, wir verbringen zwei bis drei Jahre unseres Lebens am WC: Lebenszeit ist also immer auch Toilettenzeit.
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